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Brisantes Spannungsfeld – goEast-Festival macht den Gender Check

Von Hendrik Jung. Fotos Andrea Diefenbach.

Zum 13. Mal bringt goEast bis zum 16. April Filme aus Mittel- und Osteuropa nach Wiesbaden. Wie in der Pubertät üblich, sind auch hier (Homo-) Sexualität und Geschlechterrollen wichtige Themen. Das Festival macht den Gender Check.„Uns ist aufgefallen, dass Filmemacher in Ost- und Mitteleuropa in den vergangenen Jahren Themen wie Homosexualität und Sexualität stärker aufgreifen als vor zehn Jahren“, erläutert Festivalleiterin Gaby Babić. Davon habe man sich für das diesjährige Programm in der Sektion „Beyond Belonging“ inspirieren lassen. Dieses rückt laut Programmheft „ein hochbrisantes gesellschaftliches Spannungsfeld der mittel- und osteuropäischen Länder in den Fokus“.

Im Rahmen des „Gender Checks“ läuft ein Porträt über einen jungen russischen Polizisten, der Männer liebt. Eine Langzeit-Dokumentation begleitet junge Mütter aus der Republik Moldau, die im Ausland versuchen ihre Familien zu ernähren, während die Väter für die Hausarbeit zuständig sind. Auch der diesjährige Gewinner des Teddy-Awards der Berlinale über einen schwulen katholischen Priester ist hier zu sehen. „An der Frage, ob Gay-Pride-Paraden erlaubt, verboten oder gestört werden, kann man zivilgesellschaftliche Strukturen ablesen“, findet die als Tochter eines bosnischen Vaters und einer kroatischen Mutter in Frankfurt geborene Festival-Leiterin. Ganz ähnlich sieht das auch der aus Polen stammende Wiesbadener Przemek Adamek. „Wenn man die Facebook-Profile von Homosexuellen vergleicht, sieht man in Deutschland Fotos vom Christopher Street Day. In Polen stellen die so was nicht rein. Wahrscheinlich, weil sie es für gefährlich halten“, berichtet der 30-jährige. Er selbst hat bereits im Alter von 17 Jahren die Entscheidung getroffen, seine Heimat zu verlassen und diesen Plan gleich nach dem Abitur zwei Jahre später durchgeführt. „Ich konnte mir das Leben dort nicht mehr vorstellen, weil ich festgestellt hatte, dass ich die Neigung zu Männern habe und das schwierig war in Polen“, blickt er zurück. Zu Hause ausgezogen war er ohnehin bereits zwei Jahre zuvor.

„Der Sohn meines Vermieters war mit einem Mann zusammen. Ich habe es gleich gesehen. Aber er hat das immer verleugnet und gesagt: Er wohnt bei ihm, nicht mit ihm“, gibt der freiberufliche Pädagoge ein Beispiel für mangelnde Akzeptanz Ende der 90er-Jahre. „Das ist besser geworden. In Katowice gibt es Szene-Lokale. Etwas versteckt und schwer zu finden, aber es ist eine recht große Gruppe, die da hin geht“, berichtet er von der heutigen Situation in seiner Heimat. Mit seinem Lebensgefährten zieht es ihn derzeit trotzdem nicht wirklich dorthin. „Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit gehen gar nicht“, betont Przemek. In Wiesbaden dagegen gehen beide gerne aus. „Auch um zu zeigen, dass hier mehr Schwule und Lesben leben, als man vermutet“, betont er. Und wenn er deutschen Freunden seine alte Heimat näher bringen will, nimmt er sie zum goEast-Festival mit.

Emanzipation überflüssig?

Auch in Bezug auf die Geschlechterrollen herrschen in den ehemaligen Ostblock-Staaten andere Bedingungen. „In Osteuropa ist das historisch anders gelaufen. Frauen waren Männern im Sozialismus per se gleich gestellt. Dadurch war Emanzipation überhaupt nicht nötig“, verdeutlicht Gaby Babić. Obwohl die Kinderbetreuung anders geregelt und die Berufstätigkeit von Frauen so bereits in den 50-er und 60-er Jahren üblich gewesen sei, habe sich das in der Realität jedoch keineswegs so verhalten, schränkt sie ein. Feministische Gruppierungen wie die aus der Ukraine stammende Protestbewegung Femen oder die russische Punkrock-Band Pussy Riot seien deshalb heute Pioniere. Gleichzeitig sorge die Finanzkrise für erstarkenden Nationalismus und so für eine Re-Traditionalisierung. „Das bedeutet für Frauen keine Zunahme von Emanzipation“, betont die Medienwissenschaftlerin. Den Einfluss der Wirtschaftskrise auf gesellschaftliche Strukturen zeige auch das Phänomen der sogenannten „Bitch Academies“, bei denen junge Frauen in Russland lernen, wie man sich den richtigen Mann für eine sichere Zukunft angelt. Um solche Phänomene von Wiesbaden aus zu verstehen, gibt es nach wie vor kein besseres Mittel als das goEast-Festival, das in diesem Jahr vom 10. bis 16. April läuft.

www.filmfestival-goeast.de Hier steht ein weiterer sensor-Bericht zum Festival.