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Café Klatsch-Kollektiv in Kauflaune: Spenden und Darlehen für Erhalt der Wiesbadener Institution – Linksroom e.V. guter Dinge

 

_MG_1386Von Hendrik Jung. Fotos Kai Pelka.

31 Jahren ist das Café Klatsch eine Institution in Wiesbaden. Nun sollen die Räume verkauft werden – im besten Fall an das Kollektiv selbst. Einzige Hürde auf dem Weg zum Ziel: Bis Jahresende müssen 270000 Euro aufgetrieben werden. Zuversichtlicher Zwischenstand auf dem Weg zum Ziel: Eine beachtliche Summe ist bereits zusammengekommen.

Als zu Beginn der Achtziger Jahre bundesweit selbstverwaltete Institutionen ins Leben gerufen wurden, da sind in Wiesbaden nach diesem Modell Druckereien, ein Buchladen und eine Kfz-Werkstatt entstanden. Auch das Café Klatsch hätte nicht zwangsläufig der gemütliche Treffpunkt werden müssen, der sich nun seit mehr als drei Dekaden in der Gastro-Szene der Landeshauptstadt behauptet – und außerdem der Anlaufpunkt ist für alle, die den Gedanken mögen, dass eine andere Welt möglich ist.

„Viele Leute waren in der Bewegung. Mit elf Leuten haben wir damals gesagt: Wir machen irgendwo einen Laden“, erinnert sich Rainer: „ Am Anfang war noch nicht klar, dass es ein Café wird. Wir haben uns dann gefragt: Was können wir alles gemeinsam machen und sind darauf gekommen, dass jeder von uns in einer Kneipe arbeiten kann.“ Der 48-Jährige ist das letzte Gründungsmitglied, das noch heute, 31 Jahre nach der Eröffnung, zum Kollektiv gehört. Ursprünglich sollte das Klatsch eine Keimzelle für weitere Projekte zu selbstbestimmtem Leben und Arbeiten in Wiesbaden sein. Arbeit hat es jedoch in der ehemaligen „Bierfestung Barbarossa“ genug gegeben.

Fünf Monate lang hat die Gründergeneration die gut 150 Quadratmeter große Gaststätte renoviert und dabei schnell fest gestellt, dass elf Leute für den Betrieb nicht ausreichen. Im September 1984 hat das Café Klatsch dann erstmals seine Türen geöffnet. „Früher gab es jeden Donnerstag Veranstaltungen. Vor allem viele politische Veranstaltungen“, blickt Klatsch-Urgestein Rainer zurück. Da in dieser Zeit andere kulturelle Angebote wie Jugendclubs geschlossen worden seien, habe das Klatsch genau den Nerv der politisch interessierten Szene der Landeshauptstadt getroffen. Zum Kollektiv sei das Café erst ein paar Jahre später geworden. Ungefähr in der Zeit, als sich eine Gruppe abgespalten und das ebenfalls bis heute existierende Kultur- und Tagungshaus in Rauenthal ins Leben gerufen hat.

Alles wird so lange diskutiert, bis eine Lösung gefunden ist
Seither werden sämtliche das Klatsch betreffenden Entscheidungen so lange in dem montäglichen Plenum diskutiert, bis eine Lösung gefunden worden ist, die für alle in Ordnung ist. 16 Personen gehören dem Kollektiv derzeit an, darunter momentan nur vier Frauen. „Wir haben beschlossen, dass wir versuchen wollen, bei Bewerbungen erst Mal Frauen zu bevorzugen. Wir würden schon gerne ein Verhältnis von fünfzig-zu-fünfzig Prozent haben. Das soll kein reiner Männer-Club sein“, berichtet Patryk Bielinski von einer der jüngst getroffenen Entscheidungen.

Im Kollektiv machen alle alles
Jedes Mitglied des Kollektivs übernimmt im laufenden Betrieb wechselweise alle Aufgaben. Vom Einkaufen und Putzen über das Servieren bis zum Kochen. Theoretisch gilt das auch für andere Tätigkeiten, die in der Praxis aber durchaus nach Neigung und Fähigkeiten vergeben werden, wie etwa die Buchhaltung oder handwerkliche Aufgaben.

In diesem Jahr stand das Kollektiv nun vor ganz neuen Herausforderungen. Und die waren elementarer Natur. Im Frühjahr ist klar geworden, dass der Eigentümer, der sich zu dieser Angelegenheit auf Anfrage nicht hat äußern wollte, die Immobilie verkaufen möchte. „In den ersten paar Wochen hat sich das wie eine Krise angefühlt. Mittlerweile betrachten wir es aber als Chance“, erläutert Jannek Ramm. Zunächst wurde ein Modell entwickelt, wie ein Erwerb der Immobilie zu ermöglichen wäre, wie das steuerlich funktioniert und wie man einen gemeinnützigen Verein gründet. Dies erwies sich als Voraussetzung für die angestrebte Lösung.

Die Lösung: Verein kauft und vermietet
Der frisch gegründete LinksRoom e.V. soll den Kauf übernehmen und die Gaststätte an das Kollektiv vermieten. „Die Räume sind dann dem Immobilien-Markt ein Stück weit entzogen und man kann sich relativ sicher sein, dass das Café drin bleiben kann“, erklärt Kai Meuser das Modell. 250.000 Euro soll der Kaufpreis betragen, noch einmal 20.000 Euro würde man unter anderem für den Notar benötigen. Mittel, die bis Ende des Jahres da sein müssen. Innerhalb der ersten Woche, in der das Klatsch mit dem Anliegen an die Öffentlichkeit getreten ist, sind nicht nur 2.000 Euro an Spenden eingegangen. Darüber hinaus sind dem Verein bereits private Darlehen in Höhe von 70.000 Euro in Aussicht gestellt worden.

„Mit einer Ausnahme haben bis jetzt alle in der Absichtserklärung angegeben, dass sie bereit wären uns ein zinsloses Darlehen zu geben. Wir bieten aber auch Zinsen zwischen einem halben und einem Prozent an“, erläutert Jannek, der als Vorsitzender des Vereins fungiert.

Kreative Ideen anstatt ungeliebte Kredite
Auch über einen Bankkredit habe man im Kollektiv bereits gesprochen, aber man wolle versuchen, es ohne zu schaffen. Gut möglich, dass aber noch ein Bedarf nach Bürgschaften entsteht. Vor allem sind kreative Ideen gefragt. So haben im Laufe der vergangenen 31 Jahre rund 250 Leute im Klatsch gearbeitet, auf deren Unterstützung man jetzt setzt. „Letztens hat mir in meiner Schicht ein Gast einen Lottoschein zum Ausfüllen hin gehalten“, gibt der 38-jährige Kai ein Beispiel. Ein anderer Gast, der als Tätowierer arbeitet, stellt eine Tätowierung im Wert von gut 500 Euro zur Verfügung, die als Hauptpreis bei einer Tombola verlost werden soll. Aktiv werden kann man aber auch durch den Kauf eines schwarzen Einkaufsbeutels mit Klatsch-Logo zum Soli-Preis von acht Euro.

„Ich habe schon eine Tasche gekauft zur Unterstützung. Ich freue mich, dass sie das Café kaufen wollen, denn ich komme sehr gerne her“, berichtet die 33-jährige Yasmin. Auch ihre Freundin Eva gehört zu den Stammgästen. „Wenn ich ausgehe, dann hierher. Es ist für viele Leute in meinem Umfeld ein Ort, um sich zu treffen, ob mit oder ohne Kind“, sagt die 31-jährige, die an diesem Tag in Begleitung der zweijährigen Frieda unterwegs ist.

Vor ein paar Jahren hat sich das Kollektiv noch den Unmut vieler junger Eltern zugezogen. Nach der Einführung des Hessischen Nichtraucherschutzgesetzes ist nämlich ausgerechnet das einst innovative rauchfreie Spielzimmer für Kinder in einen Raucherraum umgewandelt worden. „Da sind einige Eltern mittelmäßig auf die Barrikaden: Wie könnt Ihr so was machen? Aber für uns war das existenziell“, blickt Gründungsmitglied Rainer zurück. Er hat mittlerweile die ersten Kinder von ehemaligen Mitstreitern im Kollektiv begrüßen können.

Ein Platz für Politik und Party
„Die Gruppe ist nicht mehr so homogen wie am Anfang sondern bunter gemischt“, fügt der 48-jährige hinzu, der sich auch darüber freut, dass es zurzeit wieder sehr junge Gäste gibt, die politisch stark interessiert sind. Dadurch, dass immer wieder frisches Blut ins Kollektiv kommt, entwickelt sich das Café auch stetig weiter. So legen etwa seit dem Sommer wöchentlich wechselnde DJ-Teams am Samstagabend HipHop, Disco, Funk oder Soul-Musik auf. Nach wie vor kommt das Café Klatsch bei allen Generationen gut an. „Es gefällt mir ganz gut, weil es ein bisschen entspannter ist, nicht so streng“, urteilt der elfjährige Kai. Dessen Vater ist schon in den Anfangsjahren Gast gewesen und schaut seit seiner Rückkehr nach Wiesbaden wieder regelmäßig gerne hier vorbei. „Die Leute sind authentisch. Sie machen es anders als andere, aber gut. Die Küche ist immer frisch und gut. Das rieche ich schon, wenn ich hier rein komme“, findet der 50-jährige Marcus.

Anders ist vor allem das Geschäftsmodell. Als im Jahr 1984 die USA die Häfen Nicaraguas vermint haben, sind „imperialistische Brausen“ von der Getränkekarte verschwunden, wo sie bis heute weder wieder aufgetaucht noch wirklich vermisst worden sind. Bei Bedarf wird das Café auch mal aus Solidarität geschlossen. „Einmal haben wir spontan zugemacht, um gegen die AfD zu demonstrieren. Unsere Gäste hatten nicht nur Verständnis dafür, ein paar sind auch mitgekommen“, erinnert sich Kai, der seit elf Jahren zum Kollektiv gehört. „Der Geschäftsbetrieb ist nicht auf die Erwirtschaftung von Gewinnen ausgerichtet. Wir sorgen dafür, dass wir davon leben und ein bisschen was spenden können“, verdeutlicht der 33-jährige Patryk. Wenn nach den notwendigen Investitionen – wie in jüngerer Zeit für eine Espresso-Maschine oder eine Kühltheke – noch etwas übrig bleibt, unterstützt das Kollektiv gerne mal andere Projekte. Vorausgesetzt natürlich, dass sie ebenfalls frei von rechtem Gedankengut, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie sind.

Nachdem man im Klatsch die Folgen der Weltwirtschaftskrise überstanden und wieder steigende Gästezahlen zu verzeichnen hat, konnte man im vergangenen Jahr beispielsweise das Bündnis NSU-Watch finanziell unterstützen. Nun ist das Klatsch in Form des neu gegründeten Vereins selbst auf Hilfe angewiesen, um seine Zukunft am bewährten Standort zu sichern. „Wir haben auch diskutiert, ob man umziehen könnte und haben uns nach Alternativen umgesehen. Aber wir sind im Viertel verwurzelt und haben unsere Stammkunden“, erläutert der 27-jährige Jannek. Man habe auch weder ein Interesse daran, sich zu verkleinern noch zu expandieren. Denn weder wolle man gezwungen sein, die Mitgliederzahl des Kollektivs zu verringern, noch ist die Betriebsführung per Konsensentscheidung in beliebiger Größe vorstellbar. „Ein Plan B ist denkbar, aber wir setzen alles daran und wir sind zuversichtlich“, betont Patryk, der seit dreieinhalb Jahren zum Kollektiv gehört. Viele Gäste hoffen darauf.

„Das Klatsch ist ziemlich einzigartig. Das gesamte Ambiente ist einfach so heimelig. Man spürt, dass das alles selbst gemacht ist“, findet die 31-jährige Anne, die ab und zu aus Frankfurt zu Besuch ist, wenn sie ihren Freund von der Arbeit abholt. Dann komme sie eigens etwas früher, um bei Kaffee und Kuchen die Zeitung zu lesen. In keinem anderen gastronomischen Betrieb in Wiesbaden könnte sie sich das vorstellen. Daher ist auch sie bereit, das Kollektiv zu unterstützen. „Ich habe auch schon mal bei einer Soli-Party Thekendienst gemacht und ich könnte mir auch vorstellen, ganz klassisch zu spenden“, erklärt die Frankfurterin. Zwar habe sie nicht so viel Geld, aber schließlich komme es hier ja auf jeden Cent an.

Der Verein Linksroom hat derweil auch per Pressemitteilung auf die Situation aufmerksam gemacht. Darin heißt es: „Wiesbaden braucht Freiräume jenseits des bürgerlichen Mainstreams, in denen sich Menschen ohne Konsumzwang treffen können.“ Der Wunsch, dass der Freiraum Café Klatsch erhalten bleibt, scheint bei den Wiesbadenern groß zu sein, wie diese Update auf der Facebook-Seite vom 12. November zeigt: „Guten Abend liebe Freund*innen, es gibt ein erfreuliches Update zu verkünden: Wir haben die 10.000 Euro Spendenmarke geknackt (Wahnsinn) und mitlerweile über 150.000 Euro als Darlehen unterschrieben! Vielen, vielen, vielen Dank für eure Unterstützung und euer Vertrauen. Ist ein sehr sehr gutes Gefühl! Wir schaffen das, zusammen!“

Solidarische Statements
LinksRoom e.V. erfährt viel Unterstützung aus der Wiesbadener Bevölkerung und von anderen Freiräumen:

„Wenn man sich die gesamtgesellschaftliche Entwicklung anschaut, sieht man, dass Orte für alternatives Denken und für alternative Menschen immer wichtiger werden!“ (Manuell Gerullis von Kontext)

„Der Schlachthof und das Klatsch sind aus einer Szene entstanden. Das heißt, sie haben eine gemeinsame Geschichte und sind außergewöhnliche Institutionen in Wiesbaden, weil sie kollektiv organisiert sind und den Betrieb selbst bestimmen.“ (Sabrina vom Schlachthof)

„Das Klatsch ist DER linke Laden in Wiesbaden, und Wiesbaden braucht den Laden.“ (Boris aus der Kreativfabrik)

„Das Klatsch hat eine tolle Idee von einer besseren Welt: Kollektiv arbeiten, ohne Chef und ohne sonstigen kapitalistischen Bullshit.“ (Falk Fatal von Front)

 „Das Klatsch ist ein ganz wichtiger Faktor für die Veränderung sozialer Strukturen in Wiesbaden.“ (Michael Wilk)

„Das Klatsch zeigt seit mittlerweile über 30 Jahren, dass es auch anders möglich ist, als mit Chef und Hierarchien.“ (Raidy vom Sabot)

Solidarische Spenden
Folgende Termine für Soli-Veranstaltungen, die Geld in die Kasse bringen sollen, stehen bereits fest:

21.11. Soli-Party mit Live Musik und Djs in der Kreativfabrik.
27.12. Superbleep mit elektronischen Beat im Kesselhaus
29.12. Livekonzert mit Can You Can Can und Puerto Hurraco Sisters im Kesselhaus

Alles was die Wiesbadener Punkband FRONT bis Ende des Jahres über bezahlte Downloads auf https://frontpunk.bandcamp.com/ oder T-Shirt Verkäufe reinkriegen, geht an den Klatsch-Kauf. Von jeder verkauften LP zwacken die Musiker 4 Euro für die Aktion ab.

Eine 500 x 500-Euro-Kampagne ist im Gange. Weitere Ideen oder Angebote willkommen per Mail an Linksroom@riseup.net Spenden können auf das Konto des LinksRoom e.V. bei der GLS Gemeinschaftsbank mit der IBAN-Nummer DE54 4306 0967 6041 5558 00 überwiesen werden

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