Direkt zum Inhalt wechseln
|

Keine handwerklichen Fähigkeiten? Beste Voraussetzungen für den Möbelbau-Workshop zur „Wiesbaden Biennale“!

_MG_2814

 

Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Kai Pelka.

Stuhl, Tisch, Bett. Grundbedürfnisse beim Wohnen. Eigentlich, sagt der italienische Designer Enzo Mari, müsste jeder in der Lage sein, so etwas selbst herzustellen. Nach den Entwürfen aus seinem 1974 erschienenen Buch „Autoprogettazione“ ist das auch gar nicht schwer. „Demokratisches Design“ ohne Schnörkel, ohne viel Geld, ohne besondere handwerkliche Fähigkeiten zu verwirklichen – Gedanken wie gemacht für die Wiesbaden Biennale. Das Festival für europäische Theater- und Performance-Avantgarde am Staatstheater Wiesbaden widmet sich im Spätsommer den drängenden politischen Fragen europäischer Lebensrealität.  Das Macher-Gespann Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer ist von der Möbelidee so fasziniert, dass sie bereits ihr Büro mit selbstgebauten Enzo-Mari-Entwürfen ausgestattet haben.

Nun sollen für das Festival selbst noch viele weitere Möbel hergestellt werden, um „müden Europäern“ etwa im „temporären Grandhotel“ und im Festivalzentrum komfortables Asyl zu gewähren. Zu diesem Zweck gibt es bereits jetzt Workshops, bei denen Menschen ohne handwerkliche Fähigkeiten – diese Zielgruppe wird gezielt angeworben – Mari-Mobiliar zusammenzimmern sollen. Ausdrücklich heißt es auch „Refugees welcome“, in Flüchtlingsunterkünften wurde Werbung gemacht.

Ich will nicht nur zuschauen, sondern mitbauen. Handwerkliche Erfahrungen habe ich kaum, also ideale Voraussetzungen. Die Gruppe ist wunderbar gemischt: Alt und jung, weiblich und männlich, schwarz und weiß, deutschsprachig und nicht deutschsprachig. Vier Schüler aus Mainz und zwei syrische Wirtschaftsstudenten sind dabei, außerdem Mostafa, ein Parkhausmitarbeiter, und noch viele mehr. „Bildet Kleingruppen“, sagt Festivalchefin Maria, „zu zweit oder zu dritt geht es besser als allein.“ Die benötigten Bretter sind bereits von den Theaterschreinern zurechtgesägt worden – das beschleunigt das Ganze enorm.

Stuhl oder Tisch, das ist die erste Frage

Es gibt Anschauungsmodelle: Ein Stuhl und ein großer Tisch für 10 Personen sind die Prototypen des Tages. Ich schließe mich mit dem Ehepaar Martin und Inge Naumann-Götting zusammen. Sie betreuen Flüchtlinge aus Biebrich, die eigentlich heute kommen wollten, aber irgendwie doch nicht erscheinen. Egal! Wir sind eine Dreiergruppe. Ich kenne die Naumann-Göttings bereits flüchtig, sie arbeiten auch beim Aktiven Museum Spiegelgasse mit, zwei Lehrer im Ruhestand. Kaum aber haben wir zehn Minuten lang Hammer und Nägel in der Hand und rätseln über Bauteile A bis E, sind wir per Du und amüsieren uns köstlich. Der Bauplan des Stuhls sieht nicht aus, wie man ihn von Ikea gewohnt ist, sondern ist eine technische Konstruktionszeichnung.

Konzentration ist wichtig: Es ist nämlich nicht so, wie wenn man einen Text schreibt und über eine Korrekturtaste verfügt. Ist etwas falsch zusammengenagelt und man merkt es zu spät, braucht es enormen Aufwand, um das wieder auseinander- und richtig zusammenzukriegen. Ohrenbetäubender Lärm von zwanzig Hämmern schallt durch die Theater-Schreinerwerkstatt, in der wir arbeiten, es wird tatsächlich nur mit Hammer und Nagel gezimmert. Neben uns bauen ein älterer deutscher und ein jüngerer afrikanischer Mann einen Tisch. Auch die vier Mainzer Jungs haben sich an die ausgefeilte Konstruktion gewagt. Viele andere bauen lieber Stühle, wie wir oder auch die beiden Freunde Saeed und Ahmed aus Syrien.

Neben Hämmern ist Lachen das häufigste Geräusch

„Wir haben von einer deutschen Freundin von der Aktion gehört“, sagt Saeed. „Es macht Spaß.“ Neben Hämmern ist Lachen das häufigste Geräusch in der Werkstatt. Der erste Stuhl Marke „Anja, Inge und Martin“ ist nach zwei Stunden fertig und wird von unserem kleinen Möbelbaukollektiv stolz signiert. Wir können ihn nach dem Festival haben, sagt Maria. Während einer gemütlichen Mittagspause genießen wir leckere orientalische Köstlichkeiten, danach bauen wir noch einen zweiten Stuhl. Ein paar Mal nageln wir auch etwas falschrum zusammen, Maria lächelt nachsichtig und hilft uns beim Ausbügeln der Fehler. Dann ist auch das zweite Möbel fertig. Macht irgendwie stolz, so eine echte „Eigenleistung“ – man sieht, was man geschafft hat, und man sitzt auch gar nicht mal schlecht auf dem „schnörkellosen, demokratischen“ Stuhl. Rundherum immer mehr stolzes Lächeln, immer wenn eine Gruppe fertig wird. Und eine Atmosphäre der fröhlichen, friedlichen Zusammenarbeit, die beweist: „Wir schaffen das“ in jedem denkbaren Sinne dieses Satzes.

Die nächsten Termine sind am 23. April und 21. Mai, jeweils 12 bis 16 Uhr. Anmeldung unter moebelbau@wiesbaden-biennale.eu, 0611 58296257, erwünscht, aber auch spontane Teilnehmer willkommen.

www.staatstheater-wiesbaden.de/wiesbaden-biennale/wiesbaden-biennale-home/