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Verlegen in Wiesbaden – 7 aus 7800 auf der Buchmesse

Von Alexander Pfeiffer. Fots Heinrich Völkel und Andrea Diefenfach.

Jedes Jahr im Oktober wird Frankfurt, der schmutzige Metropolennachbar Wiesbadens an jenem unbedeutenden Nebenarm des Rheins, zum Mekka der Buchbranche. Als hätte man nicht den ganzen Rest des Jahres mehr als genug damit zu tun, sich als Deutschlands Literaturstadt Nr. 1 zu gerieren, stellt die Frankfurter Buchmesse als weltweit größte ihrer Art in unschöner Regelmäßigkeit so ziemlich alles in der Schatten, was Literatur hervorbringt – auch Wiesbaden.       

Das Verzeichnis aller auf der Frankfurter Buchmesse 2012 präsenten Aussteller bietet insgesamt 7.800 Einträge – gerade mal sieben Verlage aus der hessischen Landeshauptstadt finden sich darunter, angefangen mit der Kohlhecker Druckerei Dinges & Frick, die das „Theaterblatt“ des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden produziert, und endend mit dem Tre Torri Verlag, der in der Sonnenberger Straße residiert und dessen Veröffentlichungen sich den Themen Essen, Trinken und Genuss widmen.

 luxbooks  

Dabei war und ist Wiesbaden auch die Heimat unabhängiger, experimentierfreudiger Verlage mit Mut zum Besonderen, deren Wirken weit über die Grenzen der Stadt hinaus wahrgenommen wird. Hatte früher einmal der Limes Verlag, in dem Werke von Gottfried Benn, William S. Burroughs oder Raymond Queneau erschienen, seine Räume in der Taunusstraße, so logieren heute Annette Kühn und Christian Lux mit ihrem Verlag luxbooks – na wo wohl? – am Luxemburgplatz. Und haben sich als unabhängiger Kleinverlag mit besonderem Schwerpunkt auf US-Lyrik in zweisprachigen Ausgaben sowie junger deutscher Literatur einen sehr guten Namen in den Feuilletons von Zürich bis Berlin gemacht.

Dabei ist der „derzeit wirkungsmächtigste unabhängige Lyrikverlag im deutschsprachigen Raum“, wie ihn der Literaturkritiker Michael Braun nannte, ein „Familienunternehmen“ im besten Sinne: Das Ehepaar Kühn/Lux arbeitet genau dort, wo es mit Sohn Jonathan auch lebt. Wer in ihren vier Wänden nach so etwas wie einem Verlagsbüro oder nach Paletten voller druckfrischer Bücher sucht, der wird allerdings enttäuscht. „Der Verlag ist für uns nicht so sehr materiell“, erklärt Christian Lux. „Wir betreiben ihn aus zwei Laptops heraus.“

Annette Kühn wohnt seit ihrem zwölften Lebensjahr in der hessischen Landeshauptstadt, nach dem Studium in Mainz entschieden sie und ihr Partner sich ganz bewusst dafür, sich in Wiesbaden niederzulassen. Und gerade weil die junge deutsche Lyrikszene ihre „Hot Spots“ in Berlin und Leipzig hat, wo auch die meisten der deutschsprachigen Autoren und Übersetzer von luxbooks leben, wird der Verlagsstandort Wiesbaden sogar als ungewöhnliches Alleinstellungsmerkmal wahrgenommen. Und bietet den Verlegern die Möglichkeit, sich abseits des Klüngels in Ruhe ihrem Programm zu widmen – für das übrigens bis heute die „Enzensbergersche Konstante“ gilt, nach der es für einen Lyrikband in Deutschland genau 1364 Leser gibt. Die Auflage des luxbooks-Lyrik-Bestsellers „Ein weltgewandtes Land“ von John Ashbery erreichte in etwa diese Zahl.  

Die Frankfurter Buchmesse ist für luxbooks ein eher „schwieriges Terrain“. 2010 war man erst- und einmalig mit einem eigenen Stand dort vertreten – vor allem deshalb, weil die gerade erschienene Anthologie „Neue argentinische Dichtung“ so gut zum damaligen Gastland der Messe passte. Was allerdings auch ohne eigenen Stand auf der Messe bleibt, ist die Strategie der Zusammenrottung mit anderen jungen Verlagen – sei es bei der alljährlichen „Party der jungen Verlage“ oder der „Hotlist“, die anhand besonders herausragender Bücher die Qualität und Vielfalt aus der Produktion unabhängiger Verlage des deutschsprachigen Raums auszeichnet. Und natürlich sind Annette Kühn und Christian Lux an mindestens zwei der insgesamt fünf Tage persönlich auf der Messe anwesend, um ihre Geschäfte zu erledigen.

Im aktuellen Herbstprogramm der Lyrikspezialisten sollte man vor allem ein Auge auf den Band „raumanzug“ der Dichterin Simone Kornappel, die erst kürzlich mit dem „Orphil“-Debütpreis der Stadt Wiesbaden ausgezeichnet wurde, sowie die Anthologie „40% Paradies“ der äußerst umtriebigen Berliner Lyrikgruppe G13, haben. Und wer tatsächlich immer noch meint, mit Lyrik nichts anfangen zu können, dem liefert Christian Lux ein schlagendes Gegenargument: „Gerade die kurze Form, die sich in Häppchen genießen lässt, passt doch viel besser zu unserer hektischen Zeit als Prosa. Gedichte sind die optimale S-Bahn- oder Klolektüre.“   

marixverlag 

Die gebürtige Augsburgerin Miriam Zöller kam 2002 gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Wiesbaden – weil dieser den hiesigen Fourier-Verlag übernahm. Nachdem man Fouriers hauptsächlichen Geschäftsbereich als Großantiquariat vom eigentlichen Verlagsgeschäft getrennt hatte, folgte 2003 die Neugründung des marixverlags, dessen Geschäftsführerin Miriam Zöller bis heute ist.  

Übernommen hat sie die Fourier-Kernkompetenz der Schriften zum Judentum, ansonsten widmet sich marix in mehreren verschiedenen Reihen und Editionen der Zeitgeschichte, Philosophie, Geistesgeschichte und den Weltreligionen. Eine Herzensangelegenheit sind der Verlegerin aber auch die ausgewählten literarischen Titel, die sich im Programm finden: vornehmlich Klassiker, etwa von Nietzsche, Heine oder Tucholsky. Mit der großformatigen Ausgabe von Dante Aligheris „Göttlicher Komödie“ mit den Illustrationen von Sandro Botticelli hat sich die studierte Romanistin 2010 „eine Grille erfüllt.“

„Wenn ich’s kaufmännisch betrachten möchte, ist der Standort Wiesbaden natürlich günstig, weil gut erreichbar – auch für die Vertreter großer Kunden wie Karstadt oder Kaufhof. Auf der anderen Seite tue ich mich als Nicht-Wiesbadenerin durchaus schwer, Synergien mit der Stadt und ihrer Presse herzustellen.“ Sehr gut funktioniert hat die Synergie allerdings beim sensor-Besuch in den Verlagsräumen im idyllischen Römerweg seitlich der Biebricher Allee oder auch im Januar 2012 bei der Präsentation von Thomas Bryants Buch zur Geschichte der SS-Organisation „Lebensborn e.V.“ 1935-1945 „Himmlers Kinder“ im Wiesbadener Fraumuseum.

Und natürlich ist die Nähe zur Frankfurter Buchmesse ein echter Heimvorteil für marix. Miriam Zöller geht es dort vor allem um die Möglichkeit, „den Verlag und sein Programm vorstellen zu können. Gerade für kleinere Verlage ist das die Plattform, um sich selbst ein Gesicht zu geben und die Leser zu erreichen. Ansonsten kommt man ja in Feuilleton und Buchhandel kaum vor.“

„Ich habe ein Publikum vom Schüler bis zum Rentner“, führt sie aus. „So sind auch die Preise der Bücher gemacht.“ In der Reihe „marixwissen“ zum Beispiel, die mittlerweile 67 Bände an populärwissenschaftlichen Sachbüchern, von Abhandlungen über die wichtigsten Philosophen bis zu den großen Gebeten der Menschheitsgeschichte, umfasst, kostet jedes Buch nur erschwingliche fünf Euro.        

„Ich bin auch selber in die Themen verliebt“, sagt sie, und das ist nicht zu überhören, wenn sie über ihr Verlagsprogramm spricht. Ihr Topseller bis heute ist die Sammlung „Liebesbriefe großer Männer“ von 2008. Der Untertitel „ewig Dein, ewig mein, ewig uns“ ist ein Zitat Ludwig van Beethovens aus einem Brief an seine „Unsterbliche Geliebte“, von der sich nicht zweifelsfrei sagen lässt, wer sie war.

Ganz neu in diesem Herbst, frisch zur Frankfurter Buchmesse, ist der Band „Unheilige Narren“ von Ulrich Holbein, den Miriam Zöller als „skurrilen, unendlich geistreichen Sprachvirtuosen“ preist. Nach „Heilige Narren“ und „Heilige Närrinnen“ präsentiert Holbein darin 22 Lebensbilder von Kulturbringern, geistreichen Spottvögeln, dunklen Seelen und fiesen Exzentrikern von Aleister Crowley bis zu Marcel Reich-Ranicki. Wie die meisten anderen Bücher des marixverlags wird auch dieses vom 10. bis zum 14. Oktober in der Halle 3.0 am Stand A126 auf der Frankfurter Buchmesse zu begutachten sein.

Wir verlosen 5×2 Freikarten für die Buchmesse.

1 response to “Verlegen in Wiesbaden – 7 aus 7800 auf der Buchmesse

  1. Schön, dass es noch Verlage gibt, die den Mut zum Risiko haben. Ich muss aber leider gestehen, dass ich mir auch selber ganz wenig Lyrikbücher kaufe, also zähle ich nicht zu den ohnehin sehr wenigen lesern.

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