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Warten auf ein Happy End – Die unendliche Geschichte ums Wiesbadener Stadtmuseum

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Von Alexander Pfeiffer. Fotos Kai Pelka.

Der Fastnachtsdienstag ist trüb, doch der Betriebsamkeit im Gewölbekeller unterhalb des Marktplatzes tut das keinen Abbruch. Weiße Holzelemente ziehen sich durch den Raum unter der niedrigen Kuppeldecke. Am Boden sind Glasscheiben aufgereiht, aus denen Vitrinen werden sollen. Entlang der Backsteinwände ziehen sich Belüftungssäulen sowie neue Heizkörper, die Luftfeuchtigkeit und Temperatur konstant halten. An einer Wand ist ein Plan angepinnt, der zeigt, was hier entsteht: die erste Ausstellung im „Stadtmuseum am Markt“, kurz: SAM. Ein Kürzel, das die Wiesbadener bald im Sprachgebrauch führen sollen. Bernd Blisch, kommissarischer Museumsdirektor, ist guter Dinge: „Ich wünsche mir, dass dieser Ort von den Bürgern angenommen wird. Dass es etwas Selbstverständliches bekommt, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen. Nicht zuletzt gewährt die einen differenzierten Blick aufs Hier und Jetzt.“

Die 1.300 Quadratmeter bieten Raum für viele Blicke auf die Wiesbadener Stadtgeschichte. Den weitaus größten nimmt die Dauerausstellung „Lieblingsstücke“ ein. Für zwölf Module wurden Paten aus den Wiesbadener Stadtteilen und Heimatvereinen gewonnen, die je ein Lieblingsstück präsentieren. Das älteste stammt von 40.000 vor Christi, das jüngste von der Eröffnung der Brita-Arena. An der letzten Station des Rundgangs können die Besucher für ihr eigenes Lieblingsstück voten. Zum Ende jedes Monats wird das aktuelle in einer Extra-Vitrine zu sehen sein.

Facettenband der Epochen

Ute Günzel, Architektin aus Darmstadt, ist zuständig für die räumliche Gestaltung. „Wir erzählen die Geschichte der Stadt auf einem mäandrierenden Facettenband“, erklärt sie. „Es ist kein Kontinuum, sondern ein Rundgang mit Brüchen.“ Im Mittelpunkt jedes Moduls befindet sich ein Lieblingsstück, ringsum weitere Stücke aus derselben Epoche. Günzels persönlicher Liebling ist die Turmspitze des „Café Orient“, das von 1899 bis 1964 unter den Eichen stand. Die Ausstellung wird sich chronologisch durchlaufen lassen – oder thematisch, anhand von Icons, die die Module drei Überthemen zuordnen: Wasser, Herrschaft, Glaube.

Neben der Dauerausstellung gehört eine Kinderausstellung, in der Stadtgeschichte spielerisch erlebbar werden soll, zum Konzept – mit Playmobilfiguren, Mosaiken zum Zusammensetzen und Arbeitsblättern. Erstes Thema: „Die Römer in Wiesbaden“. In der „Schatzkammer“ werden ausgewählte Stücke aus der Sammlung Nassauischer Altertümer zu sehen sein. Als wechselnde Sonderausstellung sind verschiedene Themen wie fotografische Impressionen aus Wiesbadens Partnerstadt Görlitz oder zum Motiv Flucht/Flüchtlinge angedacht.

Feuchter Strich durch die Rechnung

Dass der Vormieter des Kellers, Joachim Kettner, Betreiber des Café Lumen am Dern´schen Gelände, über technische Probleme mit der Immobilie klagte, ist kein Geheimnis. Auch deswegen wurde die Lüftung komplett überholt und die Heizungsanlage eingebaut. „Ob das vom Klima her hinhaut, muss man sehen“, sagt Bernd Blisch. „Eine Originalgraphik aus dem 17. Jahrhundert möchte ich im Moment noch nicht hier reinhängen.“ Dass an mehreren Stellen Wasser von der Decke tropft, stellen Blisch, Günzel und ihre Mitarbeiter erst später an diesem Tag fest. Kurz darauf erfährt es die ganze Stadt: Einen Tag nach Aschermittwoch verkündet die WVV Wiesbaden Holding GmbH, Eigentümerin des Marktkellers, dass die für 2. März geplante Eröffnung buchstäblich ins Wasser fällt und auf unbestimmte Zeit verschoben wird.

Oberhalb des Kellers, wo sich die Marktsäule befindet, gibt es Stellen, die vor knapp 20 Jahren erneuert wurden. Man vermutet, dass da, wo alte auf neue Bausubstanz trifft, das Wasser eingedrungen ist. Von unten wurde das Mauerwerk bereits geöffnet und abgedichtet. Ob damit das Problem behoben ist, lässt sich erst beim nächsten Regen sagen. Im günstigsten Fall kann das SAM im April oder Mai öffnen. „Worst Case Szenario“ wäre, dass die Lumen-Terrasse aufgerissen werden muss. Dann würde es Herbst, bis im Keller eine Ausstellung zu sehen wäre.

Aus dem Reich der Schildbürger

Fast könnte man glauben, Wiesbaden und sein Stadtmuseum sollten nicht zueinander finden. Ohnehin ist das Projekt längst Politikum, die Ränkespiele darum eine Posse aus dem Reich der Schildbürgerstreiche, die Vorgeschichte lang. 2001 hat Bernd Blisch angefangen, die Sammlung aufzubauen, die die Grundlage für das Stadtmuseum bildet. Ab 2007 gab es mit Hans-Jörg Czech sogar einen Gründungsdirektor. Den zog es jedoch 2013 nach Hamburg – wohl im sicheren Gefühl, dass er in Wiesbaden noch lange ein Direktor ohne Museum bleiben würde. Der Architekturwettbewerb 2007 blieb ohne nennenswerte Folgen. Im Herbst 2013 präsentierten die kommunalen Entscheider einen neuen Plan: Verkauf eines städtischen Grundstücks an der Wilhelmstraße an den Projektentwickler OFB. Dieser sollte ein Museum bauen, das die Stadt anmieten wollte. Im Frühjahr 2014 wurden die Pläne präsentiert, im Herbst 2015 en gros unter viel Spott und Häme beerdigt.

Der Vorsitzende des Fördervereins Stadtmuseum Wiesbaden, Jochen Baumgartner, beharrt darauf, das Museum müsse dort stehen, wo es zuletzt gebaut werden sollte: In unmittelbarer Nähe zum Landesmuseum in der Wilhelmstraße. „Schließlich hatte man sich etwas gedacht bei dem Standort“, sagt er. In plakativem Kontrast dazu sieht sich die Initiative für ein „Haus der Stadtkultur und Stadtgeschichte“ im Alten Gericht an der Moritzstraße, die neben manch anderen prominenten Stimmen mit Achim Exner, Oberbürgermeister a.D., einen prominenten Fürsprecher hat. Nach ihrer Überzeugung gehört es zur Pflege des historischen Erbes, dass das Anwesen auch in Zukunft einer öffentlichen Nutzung zur Präsentation der Stadtgeschichte dient. Bernd Blisch hält weder das eine noch das andere für politisch durchsetzbar. Während die Aufbauarbeiten im Marktkeller weiter gehen, bleibt er trotz Wasser guter Dinge: „Dafür gibt es Fachleute, die so etwas beheben. Mir ist es lieber, das passiert jetzt, als dass es bei der Eröffnung jemandem auf den Kopf tropft.“

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Update – am 14. April wurde die Beschilderung am „Stadtmuseum am Markt“ angebracht. Wir halten euch auf dem Laufenden, ob dies Signale einer bald anstehenden Eröffnung sind.