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Bereit zum Durchstarten – Die Wiesbadener Gründerszene nimmt Fahrt auf

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Text Sebastian Wenzel. Fotos Arne Landwehr.

„Bei Berlins Startups ist die Party vorbei“ meldete die Wirtschaftswoche kürzlich   und beschrieb ausführlich eine „verflogene Euphorie“ an der Spree. In Wiesbaden nimmt die Gründerszene jetzt erst richtig Fahrt auf.

Die Zukunft prickelt auf der Zunge. Sie schmeckt nach Agave, Quitte und Sanddorn. Und sie heißt so ähnlich wie ein Papagei: Acáo. Verantwortlich für den Geschmack von Morgen sind  vier Wiesbadener: Christopher Reimann, Florens Knorr, Christopher-Martin Jörg und Michael Noven. Die Jungunternehmer wollen Deutschland erfrischen. Deshalb haben sie ein Getränk erfunden, das inzwischen nicht nur in ihrer Heimatstadt, sondern auch in Hamburg, Berlin und München ausgeschenkt wird. Ihre Geschichte zeigt: Auch in Wiesbaden gibt es innovative Unternehmen, sogenannte Startups.

„heimathafen“ als Dreh- und Angelpunkt

Ein Dreh- und Angelpunkt der Szene ist der „heimathafen“. Die Kombination aus Coworking Space und Café in der Adelheidstraße ist ihr Wohnzimmer, Partykeller und Arbeitsplatz. Startups verwandeln im Idealfall eine verrückte Idee in ein Produkt, das den Alltag von Millionen Menschen verändert. Auch Facebook hat so angefangen.

Bäcker, Designer oder Optiker, die sich selbstständig machen, sind zwar auch Gründer, aber laut der Definition von Paul Herwarth von Bittenfeld keine Startups. Der Wiesbadener sagt: „Startups investieren in innovative Geschäftsmodelle und glauben an ihren Erfolg.“ Von Bittenfeld betreibt das Online-Magazin rhein-main-startups.de. Regelmäßig veröffentlicht er dort auch Artikel über Paij, ein Tochterunternehmen von Redpeppix. Paij ist eine App, die das Mobiltelefon in einen digitalen Geldbeutel verwandelt. Mit dem Programm aus Wiesbaden können die Nutzer auch ohne Bargeld Rechnungen bezahlen: schnell und unkompliziert. So verspricht es zumindest die Werbung. Taxi Deutschland ist davon überzeugt und installiert die Software in über 15.000 Autos.

Die ersten Taxis mit Paij-Anschluss rollen bereits durch Wiesbaden. Demnächst folgt Frankfurt, dann der Rest der Republik. Wer mit Paij bezahlen will, startet die App auf seinem Mobiltelefon, scannt einen QR-Code ein und meldet sich so beim System an. Mit einem Fingertipp bestätigt der Nutzer den angezeigten Rechnungsbetrag, gibt an, wieviel Trinkgeld er geben möchte und bezahlt anschließend mit seinem Telefon. „Die Transaktion läuft durch die in Paij hinterlegte Zahlungsart, zum Beispiel Kreditkarten oder PayPal“, sagt Volkan Özkan, der Geschäftsführer von Paij. Paij ist bereits das zweite Redpeppix-Startup. Das erste heißt Pixoona. Dahinter verbirgt sich eine App, mit der Nutzer auf Fotos digitale Notizen hinterlassen können, zum Beispiel gesungene Geburstagsständchen oder weiterführende Links. Gründerin von Paij und Pixoona ist die 43-Jährige Wiesbadenerin Sylvia Klein. Sie sagt: „Das Rhein-Main-Gebiet bietet Startups gute Bedingungen. Die Nähe zur Finanzmetropole Frankfurt ist ein Vorteil. Und auch die Stadt Wiesbaden hilft Gründern gerne.“

Angebote der Stadt – gut oder von gestern?

Das „Starternetzwerk Wiesbaden Rheingau-Taunus“ bündelt die Angebote von öffentlichen Akteuren wie der Stadt, der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie Exina, einer Existenz- und Innovationsförderungsagentur. „Neue unternehmerische Ideen und Startups haben in der Landeshauptstadt einen besonderen Stellenwert, und darum unterstützen und fördern wir das Thema Existenzgründung seit Jahren mit stets hoher Intensität. Die neuen Geschäftsideen setzen frische Impulse in der Unternehmenslandschaft und machen Wiesbaden zu einer abwechslungsreichen, interessanten Stadt“, schreibt Stadtrat Detlev Bendel im Vorwort der Broschüre „Wiesbaden Gründerregion“ und berichtet über eine „breite Vielfalt an Gründungen“.

Doch nicht immer finden Startups und öffentliche Institutionen zusammen. Es gibt Gründer, die sagen: „Wir arbeiten an den Produkten von morgen und benötigen dafür keine Institutionen von gestern.“ Das sieht von Bittenfeld ähnlich. Er ist der Meinung, dass viele Startups auf Hilfe von der Stadt verzichten und sich lieber an andere Ansprechpartner wenden. „Die Angebote der Stadt sind wichtig, aber sie treffen nicht immer den Ton der jungen Gründer und erreichen daher manchmal ihre Zielgruppe nicht“, findet auch Dominik Hofmann, einer der Inhaber des Heimathafens. Vielleicht ändert sich das in Zukunft. Hofmann und sein Partner Albrecht von Schnurbein sind in Gesprächen mit der Stadt. Gemeinsam überlegen sie, wie sie die Startup-Szene weiter nach vorne bringen können.

Auch die Acáo-Inhaber hatten vor der Gründung keinen Kontakt mit der Stadt. Das nötige Wissen haben sie sich selbst angeeignet – im Studium und in ihrer Freizeit. Das Startkapital sammelten sie in der Familie und bei Freunden. Einen entscheidenden Tipp haben sie aber doch von einer öffentlichen Einrichtung erhalten. Ein IHK-Mitarbeiter empfahl ihnen Aratop. Das Unternehmen aus Mainz ist spezialisiert auf die Entwicklung von Lebensmitteln. „Es hat uns über die Ziellinie getragen“, sagt Michael Noven. Zusammen mit der Aratop-Mitarbeiterin Sonja Werner tüftelten sie im Labor an der finalen Rezeptur: hier ein bisschen mehr Zitronen- sowie Agavendicksaft, dort etwas weniger Sanddornpulver und Guarana-Extrakt. Das Ergebnis kann sich schmecken lassen und wird in Wiesbaden unter anderem im Lumen ausgeschenkt. „Wir dachten, wir holen uns dort eine Abfuhr, aber der Geschäftsführer Joachim Kettner war direkt von unserem Getränk begeistert“, sagt Noven. Seitdem steht dort  zum Beispiel Acáo Spritz auf der Karte – mit Sekt, Holunderblütensirup und Soda. Der Name  des Getränks soll übrigens an einen Macaw-Papagei erinnern. Schließlich lautet der Slogan des Drinks: „Natürlich fliegt besser“. Nach den ersten Erfolgen sind die vier Freunde nun dabei, sich ein Vertriebsnetzwerk aufzubauen. Sie träumen davon, dass schon bald Hotels und Restaurants in ganz Deutschland ihr Bio-Getränk ausschenken. Und auch mit der Stadt haben sie inzwischen Kontakt. Acáo war kürzlich das offizielle Getränk auf dem Wiesbaden-Stand der Tourismusmesse ITB.

Netzwerke ohne Städtegrenzen

Apropos Netzwerke: Die Startup-Szene vernetzt sich nicht nur im Heimathafen, sondern auch beim „Gründergrillen“ – einem geselliges Netzwerk-Veranstaltungsformat, bei dem Gründer und Enterpreneure ihre Ideen in Pitch-Atmosphäre präsentieren, während im Hintergrund „angegrillt“ wird – oder auf Facebook, Xing und Co. Dabei sind Stadtgrenzen unwichtig. „Die Startup-Szene im Rhein-Main-Gebiet ist genauso aktiv wie die Szene in Berlin“, sagt Sylvia Klein. Und Thorsten Schreiber ergänzt: „Uns ist es egal, ob Startups in Wiesbaden, Mainz oder Frankfurt sitzen. Wir wollen das Rhein-Main-Gebiet nach vorne bringen und zeigen, dass es auch hier innovative Jungunternehmer gibt“. Schreiber arbeitet für Gründertaxi. Das Unternehmen betreut Startups und hilft ihnen in der Anfangsphase. Es sitzt im Startblock Wiesbaden, dem Gründerzentrum der Stadt. Fazit: Es scheint, als habe die Startup-Szene in Wiesbaden nur gewartet auf einen Ort wie den Heimathafen, der 2013 übrigens den „Gründerpreis der Region“ gewann. Obwohl das Café noch nicht lange existiert, ist es längst als zwanglose Anlaufstelle, aber zum Beispiel auch als Austragungsort des regelmäßigen „Gründerfrühstücks“, ein wichtiger Treffpunkt der Szene. Acáo gibt es dort übrigens nicht zu trinken. Egal, ob sich das demnächst ändert oder nicht: Es scheint, dass die Zukunft der Startup-Szene in Wiesbaden nicht nur auf der Zunge prickelt, sondern auch prickelnd wird. Weitermachen.

„Start (me) up! Eine neue Gründerzeit für Wiesbaden“ ist das Thema bei der vierten Ausgabe von „Der visionäre Frühschoppen“, der gemeinsamen Veranstaltungsreihe von sensor und Walhalla, am Sonntag, 30. März, um 12 Uhr im Walhalla-Spiegelsaal. Alle Infos hier.

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Anlaufstellen für Startups in Wiesbaden

Exina Die Existenzgründungs- und Innovationsförderungs-Agentur versteht sich als zentrale Anlaufstelle für Existenzgründer: http://www.exina-verein.deForum Kiedrich Das Gründernetzwerk führt Startups mit Mentoren und Business Angels zusammen: www.forum-kiedrich.de. Berufswege für Frauen Spezielle Unterstützung für Frauen auf dem Weg in die berufliche Selbstständigkeit mit Schwerpunkten im Bereich „Social Business Women“ www.berufswege-fuer-frauen.de  Heimathafen Wohnzimmer, Arbeitsplatz und Partykeller der Startup-Szene in Wiesbaden: http://heimathafen-wiesbaden.de. IHK Wiesbaden Die Einrichtung berät Mitglieder und solche, die es werden wollen oder müssen (Existengründer übrigens in der Regel beitragsfrei), über die Gründung eines Betriebes: www.ihk-wiesbaden.de Rhein-Main-Startups Auf den Seiten des Onlinemagazins finden Interessierte Nachrichten und Berichte sowie Hinweise auf Veranstaltungen und Gründertreffen: http://rhein-main-startups.de. Stadt Wiesbaden Die Stadt unterstützt Existenzgründer mit diversen Angeboten., Übersicht unter www.wiesbaden.de/wirtschaft/existenzgruendung/ Startblock Im Gründerzentrum der Stadt Wiesbaden können Jungunternehmen Büros sowie Gemeinschaftsräume anmieten: http://www.startblock.biz. Starternetzwerk Wiesbaden Das Netzwerk  verlinkt auf verschiedene Angebote in der Region und ist eine erste gute Anlaufstelle im Netz: www.starternetzwerk-wiesbaden.de .