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Udo Jürgens-Interview: „Ich muss den Tiefgang, den ich empfinde, auch vermitteln“ – Zusatzkonzert in Frankfurt

Interview und Fotos: Dirk Fellinghauer.

Seit einigen Jahren hat Udo Jürgens auf seinen ausgedehnten Tourneen keinen Stopp mehr in Wiesbaden eingelegt. Aber um diesen Weltklasse-Entertainer live zu erleben, ist eigentlich kein Weg zu weit – schon gar nicht ins nahe gelegene Frankfurt, wo der 78-jährige Sänger und Komponist der Superlative am Samstag, 3. November, mit seinem langjährigen Orchester Pepe Lienhard ein Zusatzkonzert in der fast ausverkauften Festhalle (Restkarten gibt es noch an den bekannten Stellen, zum Beispiel hier und an der Abendkasse) geben wird. Das wird „Der ganz normale Wahnsinn“ und ist ein willkommener Anlass, ein nicht mehr ganz frisches, aber immer noch erfrischendes  ausführliches Interview – geführt im Rahmen seiner letzten Tournee im Steigenberger Hotel Frankfurter Hof („Lassen Sie uns lieber in die Bar gehen, da ist gemütlicher“ sagte er nach einem kurzen kritischen Blick in die für das Interview  eigentlich reservierte „Business Lounge“) – mit dem  auf der und jenseits der Bühne faszinierenden Künstler aus dem Archiv zu holen.

Sie benutzen, anders als viele ihrer auch jüngeren Kollegen, bei Konzerten keinen Teleprompter, auf dem sie Texte ablesen könnten – und das, obwohl Sie immer wieder ihre neuesten Songs ins Programm nehmen. Wie merken Sie sich Ihre Liedtexte?

Durch Lernen.

Wie lernen Sie?

Ich fange lange vorher an und nehme mir viel Zeit. Unser Beruf ist der gesündeste, den es als Gehirntraining gibt. Eine bessere Vorbeugung gegen Alzheimer gibt es nicht. Ich lerne richtiggehend komplizierte und lange Texte auswendig, lange vorher, und sage sie mir täglich auf und übe das für mich. Das ist schon mit Arbeit verbunden. Ich finde es … also ich möchte das Wort widerlich jetzt nicht so verwenden, aber ich find´s ein ein bisschen widerlich, wenn Künstler auf die Bühne gehen und nicht mal die Texte kennen von ihren Liedern, mit denen sie viel Geld verdienen. Das zeigt, dass sie innerlich keine Beziehung dazu haben und dass ihnen das eigentlich wurscht ist, Hauptsache, Sie verdienen viel Geld damit. Für mich sind meine Lieder ein Teil von mir. Das hat viel mit Identifikation zu tun. Da spürt das Publikum auch: die Songs und alles, was er uns erzählt, das kommt aus einer Gefühls- und Geisteswelt und Haltungswelt. Das ist mir persönlich wichtig.

In Ihrem Lied „Einfach Ich“ heißt es „Erwarte dir nicht zu viel von mir, denn ich bin doch nur einfach Ich“. Stellt ihr Publikum manchmal zu hohe Erwartungen an Sie?

Der Erwartungsdruck ist riesengroß. Niemand hat so viel Konzerte gemacht wie ich. Tausende! Ich war in Deutschland in jeder kleinen Stadt und in jeder Großstadt, auf allen Bühnen, auch in Europa und überall. Die Leute haben jedes Mal gesagt, diese Tournee ist noch toller, das kann man nicht mehr überbieten. Und wir haben uns bemüht und jetzt sind alle der Meinung, dass das noch mal das bisherige überbietet und das ist für mich natürlich ein ganz tolles Gefühl. In dem Text ist die Zeile „Erwarte dir nicht zu viel von mir“, denn letztlich bin ich einfach ich, ich bin wie ich bin, ich mache Fehler. Ich versuche mein Bestes zu geben, das versuche ich wirklich. Und das, glaube ich, spüren die Leute.

„Mein James Bond-Favorit ist Roger Moore“

Man könnte Sie fast mit James Bond vergleichen – auf jeder Tour präsentiert sich „der beste Udo Jürgens, den es je gab“ …

Die neuen James Bond-Filme gefallen mir nicht mehr so gut. Da fehlt einfach diese Leichtigkeit, die die Filme früher ausgemacht hat. Mein Favorit ist Roger Moore. Der war so richtig ironisch, mit hochgezogener Augenbraue und so. Mein Name ist Bond – James Bond! Das fehlt heute einfach irgendwie.

Die Erwartungen an Sie beziehen sich nicht nur darauf, dass Ihr Publikum gut unterhalten werden will, sondern die Leute hören genau, was Sie sagen …

Sie hören ganz genau, was ich sage und was ich singe. Deswegen bin ich auch der Sänger, den man versteht. Das ist nicht wie in der Rockmusik, wo man irgendwas singt oder singen könnte, weil die Leute es ohnehin nicht verstehen. Mir ist es ganz wichtig, dass man mich versteht. Deswegen hören die Leute ganz genau zu. Man will in meinen Konzerten nicht nur leicht unterhalten werden, man will ein bisschen Seelennahrung. Ich muss den Tiefgang, den ich selber empfinde, auch wirklich etwas vermitteln.

Mit ihrer Haltung locken sie längst nicht mehr nur ihre einstige Kernzielgruppe „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ in ihre Konzerte.

Wir haben eine ganz breite Mischung im Publikum, darauf bin ich eigentlich am stolzesten. Das ist fast vergleichbar mit den Salzburger Festspielen – nicht in dem Sinne, dass sie reich sind oder irgendwas, sondern in der geistigen Haltung. Das sind Leute, die intelligent und gebildet sind, die nicht abzuspeisen sind mit aufgedrehten Lautsprechern und Riesenkrach, sondern die was hören wollen und was empfinden wollen und die dann mit diesen Empfindungen, mit diesem Gefühl rausgehen.

Sie singen teilweise Jahrzehnte alte zeitkritische Lieder, die immer noch aktuell sind – Warnungen vor der Klimakatastrophe, Songs gegen Krieg, Gewalt und soziale Kälte. Müssten Sie nicht resignieren, weil ihre Lieder letztlich doch nichts bewirken?

Dass wir die Welt nicht verändern können, ist die älteste Sache der Welt. Die Kunst in all ihren Facetten ist immer ein Mosaik in der Geistesbildung gewesen. Literatur, Chansons, Lieder … da gibt es leichtere Unterhaltung und ernstere. Verändern tut das die Welt natürlich nicht. Aber es verändert letztlich die Menschen. Wenn das alles nicht gäbe – keine Literatur, Theater und Lieder gäbe- dann würden die Menschen nur noch der Gier anheim fallen, wie wir das in den letzten Monaten im Bankenbereich erlebt haben. Wir würden nur noch unseren persönlichen Vorteil sehen, man würde versuchen, alle anderen gnadenlos zu überrollen. Ich glaube, die Kultur, das Lesen von Büchern und auch von Zeitschriften, bewirkt, dass die Menschen eine seelische Bildung haben. Dass die Menschheit immer noch ein gewaltbereiter Moloch ist, wissen wir. Das hat viele Ursachen. Der Mensch greift zur Gewalt, wenn Ungerechtigkeit, Hunger oder solche Dinge da sind, dann hat die Gewalt einen Nährboden. Aber an sich sind die Leute nicht gewaltbereit – weil sie in ihrer Freizeit was tun können, Musik hören, in Konzerte gehen, Tanzen gehen.

„Einen Song zu schreiben, ist immer eine Gratwanderung“

Sie haben inzwischen über neunhundert Lieder geschrieben …

Es dürften wohl tausend sein.

Sind Sie dabei hinter das Geheimnis eines guten Songs gekommen?

 Nein, dahinter kann man nicht kommen. Das ist immer wieder eine Gratwanderung. Aber ich habe mich natürlich extrem mit diesem Metier beschäftigt. Es gibt zwei Arten von erfolgreichen Liedern: die, die es schnell schaffen und mit dem Kalkül eines Wissenden gemacht werden. Also einer, der die Szene kennt, der weiß, was ankommt, der das alles studiert, und dann in einem Kalkül Songs stricken kann, die gezielt auf diese Gruppe passen und sie ansprechen. Das ist dann erfolgreich. Aber Songs, die Jahrzehnte überdauern und die Qualität eines Evergreens haben, das sind alles Lieder, die von Autoren stammen oder einem Interpreten, der mit den Songs eins gewesen ist – wenn Sie zum Beispiel „Yesterday“ von den Beatles hören oder überhaupt die großen Songs von den Beatles oder von anderen großartigen Künstlern, die man immer noch kennt, dann ist da eine unglaubliche Übereinstimmung zwischen Song und Interpret. Bis zum heutigen Tag gibt es eben Lieder, die nicht vergessen sind und die nicht vergessen werden.

Dazu gehören längst auch viele Lieder von Udo Jürgens.

Dazu zu gehören, ist der letzte Adelsschlag, den es in unserer Branche gibt. Es gibt keine Orden und keinen Adel, aber der Adel ist, zum Evergreen zu werden und wenn ein zwanzig, dreißig Jahre altes Lied von Millionen gesungen wird.

Ein solches ganz altes Lied, dass Sie wieder im Programm haben, ist „Tante Emma“ – das Lied über den guten alten Tante Emma-Laden. Wie kam es dazu?

Das habe ich noch nie auf der Bühne gemacht. Wenn ich ein neues Programm mache, schaue ich natürlich alles an, was ich gemacht habe. Und da stoße ich auf sehr sehr interessante Sachen und versuche, eine Auswahl zu machen. Dinge, die ich noch nie gespielt habe und die mir trotzdem gefallen, die bevorzuge ich. Es muss Neues drin sein, damit die Leute merken, es geht weiter, der macht noch was, der hat nicht aufgehört zu komponieren, das ist ganz wichtig. Es muss eine Mischung aus Alt und Neu zustande kommen und am Ende müssen natürlich ein paar Gassenhauer kommen. Aber ich achte drauf, dass nicht eine Stunde lang nur Gassenhauer gespielt werden.

Zum ersten Mal seit langem war in Ihrem Konzertprogramm kein Hit-Medley, in dem sie sonst mehrere ihrer Erfolgssongs zusammenfassen, dabei.

Danke, dass Sie das bemerkt haben. Das ist natürlich vorher eine große Diskussion gewesen. Alle haben Angst gehabt, dass die Medleys zwingend notwendig wären, um aufzulockern und die neuen Lieder dazwischen zu platzieren, damit die Leute bei der Stange bleiben. Ich habe gesagt, ich möchte gnadenlos diesmal keine Medleys machen, sondern erst nach dem eigentlichen Schluss des Konzertes, nachdem ich schon zweimal abgegangen bin, kommen dann „Aber bitte mit Sahne“, „Mit 66 Jahren“ …

Die Gassenhauer.

Die müssen auch kommen. Ich habe selber früher Sinatra in Las Vegas gehört und auch in Deutschland. Und ich war irrsinnig enttäuscht, dass er am Ende nicht mehr „New York, New York“ und „My Way“ gespielt hat, weil das zu schwer für ihn zu singen war. Ich finde, diese ganz großen Hits eines Interpreten, die müssen dann auch noch gespielt werden. Das ist irgendwie wichtig. So gefällt´s mir und ich glaube, die Leute warten mit Recht drauf. Es geht niemand deswegen hin. Ins Konzert geht man, um interessante, andere, neue Erlebnisse zu haben. Man geht nicht hin, um noch mal „Griechischer Wein“ zu hören. Aber man freut sich, wenn man´s dann hört.

Ein Talent kommt selten allein – Sie haben ihren autobiografischen, mittlerweile erfolgreich verfilmten Familienroman „Der Mann mit dem Fagott“ veröffentlicht. Haben Sie Pläne für weitere Bücher?

Ich schreibe an meinem zweiten Buch, das bisher sehr hübsch wird. Das macht mir Riesenspaß. Das mache ich für mich, das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich Ehrgeiz als Schriftsteller habe. Ich versuche da einfach, etwas anderes zu machen, was mich geistig befruchtet für die andere Arbeit. Ich habe festgestellt, wenn ich das mache, dass ich dann hinterher besser komponiere.

Und was wird es für ein Buch?

Es werden Kurzgeschichten. Es geht überhaupt nicht um mich. Ich plane aber auch schon ein drittes, damit fange ich vielleicht auch in Kürze an.

„Was ist eigentlich ein Lied?“

 Verraten Sie schon etwas?

Ich plane, etwas über Musik zu machen, über diese Faszination Lied. Was ist das? Diese kurze Musikform, die im letzten Jahrhundert begonnen hat, die viel älter ist, die aber im letzten Jahrhundert begonnen hat, die Welt zu erobern und alle anderen Musikrichtungen und Stile bei weitem überflügelt hat. Was ist das, dieses drei Minuten oder vier Minuten lange Musikstück, das in sich abgerundet von Anfang bis Schluss ist, das keine Oper ist und keine Operette und kein Musical – ein ganz kleines Ding, das ein Teil hat, das die Leute gerne pfeifen auf dem Weg ins Büro. Was passiert da? Wie ist die Geschichte, dass es überhaupt zu dieser Musikform kam? Es ist eine unglaublich faszinierende Musikform, die hervorragende Komponisten hervorgebracht hat. George Gershwin und all diese Leute, hauptsächlich aus Amerika. Das ist ein großer Kulturkreis und damit will ich mich mal fast schon wissenschaftlich beschäftigen. Ich versuche jetzt alles drüber zu lesen, was es gibt, das ist hochinteressant.

 Sie haben auch unglaublich viele Lieder über Lieder geschrieben.

Das ist auch hochinteressant. Ich versuche in einem solchen Lied immer wieder mitzuteilen, was ich da mache und was ich da gerade versuche. „Ein Lied wie keines, das wünsch ich mir, und er erzählt mir von dir“ … also ein Liebeslied, das nicht einfach sagt, du bist wunderbar, du bist herrlich, sondern ich versuche, ein Lied zu schreiben, in dem es mir einigermaßen gelingt, das zu beschreiben. Das ist für mich ein sehr schöner Gedanke und das habe ich immer wieder gemacht und werde es wahrscheinlich auch immer wieder tun.

Sie haben sehr viel zu sagen, geben viele Interviews, in den Schlagzeilen reduziert sich aber immer wieder alles auf „Udo und die Frauen“. Frustriert Sie das?

Das hat mich eine Zeitlang unheimlich gestört, da habe ich gedacht, was soll das? Aber der singende Interpret – ich nenne ihn bewusst nicht Sänger, weil ich mich nicht so empfinde – selbst wenn er ausgesehen hat wie eine Tüte Mehl, hat man schon immer unterstellt, er ist ein Liebling der Frauen. Besonders Tenöre haben Lieblinge der Frauen zu sein, auch wenn sie 130 Kilo schwer sind und alles andere als gut aussehen. Das hängt mit dem Beruf zusammen. Natürlich bin ich nicht 130 Kilo schwer und ich war ein ganz fescher junger Mann, aber das ist natürlich viele Jahre her. Und da lag es auch nahe. Ich war auch ein sehr lebensfroher Typ und bin es auch heute noch. Ich habe Freundschaften gehabt und zwei Ehen geführt. Beide sind schief gegangen, was immer traurig ist, aber mit beiden Frauen verbindet mich eine herzliche Freundschaft, auch heute. Ich habe Freundschaften gehabt mit Frauen, die kurz waren oder lang gedauert haben, die aber immer etwas Besonderes gehabt haben und ich bin all diesen Geschichten, die ich erlebt habe, eigentlich sehr dankbar.

 „Ich habe viele Chancen gehabt und bin denen auch erlegen, das gebe ich zu. Ich bin damit im Reinen“

 Dankbar wofür?

Sie haben mich alle irgendwie weiter gebracht und ich habe mich immer bemüht, auch wenn etwas zu Ende war, eine Freundschaft zu bewahren. Das hat mir sehr viel gegeben im Leben. Ich fühle mich nicht als Adonis oder Springinsfeld oder als jemand, der irgendwie jemand anderen ausnützt, sondern mein Leben ist so verlaufen. Ich war viel allein, dadurch hat sich das ergeben. Ich habe viele Chancen gehabt und bin denen auch erlegen, das gebe ich zu. Ich bin damit im Reinen, es ist okay.

In ihrem beruflichen Umfeld ist es genau umgekehrt, da haben sie sehr lange, seit Jahrzehnten bestehende Beziehungen zu Ihrer Plattenfirma, mit der Sie einen Vertrag auf Lebenszeit haben, und mit ihrem Management, Musikern, Betreuern …

Ich bin ein sehr anhänglicher und treuer Mensch. Bei einem Menschen, mit dem mich mal was verbunden hat, bleibt das so, auch mit Frauen.

Ihre Karriere währt seit sechs Jahrzehnten – wenn Sie die Wahl hätten, in welches würden Sie gerne noch mal zurückgehen?

In gar keines. Ich glaube, die faszinierende Zeit, in der wir gerade leben, ist jetzt. Seit ich lebe, habe ich nur faszinierende Episoden erlebt. Das letzte Jahrhundert war ein Jahrhundert, das die Menschheit zuvor in Jahrtausenden nicht erlebt hat, auch zur Zeit der Kreuzzüge oder der größten Katastrophen. Das war alles ein Kaffeekränzchen, ein Teestündchen, gegen das, was im letzten Jahrhundert los war. Das war in vielerlei Hinsicht katastrophal. Aber wenn man es überlebt hat und den Ausklang des Jahrhunderts erlebt hat, muss man feststellen, dass es eine gewaltige Zeit ist, die aus Blutvergießen zu einem großen vereinigten Europa geführt hat – einem Traum, den Karl der Große schon geträumt hat und August der Starke auch schon. Die haben schon gewusst, es kann nur eines Tages ein Europa geben. Ich bin ein Europa-Patriot.

Sie werden mitunter von Deutschen, Österreichern und Schweizern als einer von ihnen vereinnahmt.

Ich bin in erster Linie Europäer, dann bin ich Österreicher, dann bin ich inzwischen Schweizer Staatsbürger, meine Eltern sind Deutsche, mein Vater kommt aus Russland. Ich habe eine ganz starke Verbindung zu Deutschland, denn diesem Land verdanke ich alles. Aber mein ganz großer Patriotismus ist europäisch – ein Teil der europäischen Kultur zu sein, das finde ich, das ist etwas, worauf jeder, der in Europa lebt, stolz drauf sein sollte.

„Ich habe nie an der Börse spekuliert. Das halte ich für moralisch bedenklich“

Eine sehr alte Liedzeile von Ihnen lautet „Was wirklich zählt auf dieser Welt, bekommst du nicht für Geld“. Was bedeutet für Sie, der sich wahrscheinlich so ziemlich alles leisten kann, Luxus?

Luxus ist, Zeit für die Menschen zu haben, die man liebt, vor allen Dingen für die Kinder, die man hat. Ich habe, als sie klein waren, wenig Zeit gehabt für meine Kinder und habe das aber Gott sei Dank alles aufgearbeitet mit ihnen im gemeinsamen Gespräch und wir haben heute eine unglaubliche Nähe. Das ist eine Bereicherung der besonderen Art. Luxus ist zu erkennen, dass ich mit Dankbarkeit erlebe, dass es mir gut geht, aber dass ich auch wirklich weiß, und das ist kein billiges Kokettieren, dass es nicht das Geld ist, das mich letztlich glücklich macht.

 Sondern?

Sondern dass es das ist, was ich tue, dass ich spüre, was ich für andere Menschen tun kann. Der Wohlstand, den man hat, ist wichtig, weil er das Leben ruhiger macht. Aber er ist nicht die Basis des Glücks. Für mich hat auch Geld und der Verdienst dessen nichts mit Gier und solchen Dingen zu tun. Ich halte Gier für eine ganz gefährliche Sache. Deswegen halte ich auch Gewinnoptimierung, diesen Bankbegriff, für eine Umschreibung des Wortes Gier. Das ist ein ganz schlimmes Wort. Es kommt nicht darauf an, dass man Gewinne optimiert. Es kommt darauf an, dass man Gewinne hat und mit Kultur, Stil, Geschmack und vor allem mit Verantwortung damit umgeht. Das kann man nicht, wenn man versucht, auf schnellstem Wege 200 aus 100 zu machen. Das ist unmoralisch. Deswegen habe ich auch nie an der Börse spekuliert oder irgendwas gemacht, weil ich mich über einen Riesengewinn, den ich da vielleicht hätte, nicht freuen könnte. Dafür habe ich ja nichts getan, ich habe nichts geleistet dafür. Ich halte das moralisch für bedenklich.

Sie gelten als Perfektionist, der vieles akribisch plant – gilt das auch für den Moment, wenn Ihr Leben zu Ende geht?

Natürlich, wenn man in meinem Alter ist. Man sollte aber schon früher damit anfangen, überhaupt über so etwas mal nachzudenken. Wir werden auf alles vorbereitet, nur nicht auf diesen Moment oder auf die Zeit, die sich dem Lebensende nähert. Wenn man in meinem Alter ist, oder überhaupt über 60, 70, dann kommt dieser Augenblick natürlich näher und man muss sich drüber Gedanken machen. Dass man die Dinge einigermaßen plant, den Nachlass, und dass möglichst nicht hinterher Leute sich in den Haaren liegen und Prozesse gegeneinander führen, das halte ich für eine Frage des Anstands. Ich bemühe mich, das fair und richtig zu machen. Wobei man das sehr mit gefesselten Händen macht. Wir haben nicht so ein Recht wie in England, wo der Vererbende allein bestimmt, was mit seinem Geld geschieht. Bei uns ist das gesetzlich, ich würde fast sagen zu 98% geregelt. Wir haben fast gar keine Möglichkeiten mehr. Aber die Möglichkeiten, die man noch hat, da fair zu sein, sollte man auch nutzen. Testament und diese Dinge sind natürlich gemacht.

Als Ihr Landsmann Jörg Haider ums Leben gekommen ist – konnten Sie nachvollziehen, was sich danach in Kärnten an öffentlicher Trauer abgespielt hat?

Nein, das kann ich nicht nachvollziehen. Auch nicht, dass diese Partei heute stärker ist als früher. Ich kenne ihn natürlich gut, weil sich in Kärnten jeder kennt. Er war privat ein intelligenter und außerordentlich charmanter Typ. Politisch konnte ich seine Ansichten niemals teilen und habe ihm das auch immer gesagt und habe das auch in Interviews zum Ausdruck gebracht. Das Ansehen Kärntens in der Welt, international, sofern man es überhaupt kennt, hat eindeutig gelitten, das muss man wirklich sagen. Es gilt als ein Naziland, was es nicht ist. Kärnten ist kein Naziland, das muss ich ganz klar sagen. Kärnten hat reizende Menschen, gastfreundliche Bürger, die haben das echt nicht verdient. Aber es ist nun mal so gekommen, wie es gekommen ist.

„Deutschland in der Krise? Die Leute sollten sich mal umschauen, bevor sie einen solchen Quatsch schreiben!“

Sie verbreiten in ihrem Konzert riesigen Optimismus über die derzeitige Lage, von Krisengerede wollen Sie nicht viel hören. Woher kommt ihr Optimismus?

Hören schon – ich schau mir alles an. Aber ich bin am Rande der Aggressivität, wenn ich lese, und das habe ich gelesen, dass Deutschland in der schwersten Krise seit dem Krieg steckt. Wissen die überhaupt noch, wovon sie reden? Ich meine, damals sind Millionen Menschen gestorben, wir haben in einem grauenvollen Faschismus gelebt, die Menschen sind aufgehängt, erschossen worden, hingerichtet worden zu Tausenden. Es gab kein persönliches Recht und gar nichts. Und wir haben jetzt eine Finanzkrise. Okay! Die müssen wir annehmen, an dieser Krise ist ein kleiner Teil unserer Gesellschaft schuld, die Gier, von der wir gesprochen haben, ist schuld, dass man den Hals nicht vollkriegen konnte. Sicherlich hat es auch etwas Gutes.

Was könnte das sein?

Wir müssen lernen, anders mit den Dingen umzugehen, die wir haben. Ich finde es wirklich umoralisch, wenn im Fernsehen, das habe ich vor drei Tagen gehört, davon gesprochen wird, dass eine gewisse große Industrie um zwei Prozent „eingebrochen“ ist. Also da kann man sagen, um zwei Prozent zurückgegangen. Aber bei zwei Prozent kann man nicht von einem Einbruch reden. Damit wird Angst gemacht, da werden die Leute in Panik getrieben, dass sie noch mehr Fehler machen als sie schon gemacht haben. Ich finde, jetzt ist Ruhe und Besinnung angesagt. Die Gesellschaft muss diese Fehler, die andere gemacht haben, ausgleichen. Da muss sicher jeder seinen Beitrag leisten. Das ist bitter. Aber wir leben nicht in einer Zeit wie Nachkriegsdeutschland oder gar die letzten Kriegsjahre oder so. Solche Vergleiche sollte man wirklich nicht machen. Das können nur Leute schreiben, die damals nicht gelebt haben.

Sie selbst wurden 1934 geboren – wurden also, wie es im Titelsong Ihres 1983 erschienenen Albums „Traumtänzer“ heißt, „in eine Welt hineingeboren, die einem großen Trümmerhaufen glich.“.

Ich war Kind damals, aber ich kann mich an einiges erinnern. So etwas ist nicht mal im Ansatz jetzt zu spüren. Wir leben immer noch in einem gesunden Zustand, auch nicht zu vergleichen etwa mit Ländern in der Dritten Welt. Die Leute sollten sich mal umschauen, bevor sie einen solchen Quatsch schreiben in einem Land mit hoher sozialer Gerechtigkeit, wo man sich bemüht, durch eine wirksame Demokratie Gerechtigkeit zu üben. Dass das nicht immer und überall ständig funktioniert, wissen wir auch. Aber es wird ständig dran gearbeitet, wie das in einer Demokratie üblich ist, alles zu verbessern von dem man der Meinung ist, das ist noch nicht gut genug. Da kann man jetzt wirklich nicht sagen, dieses Land sei in einer Situation wie nach dem Krieg oder Kriegsende.

 www.udojuergens.de

Udo Jürgens bei facebook

Ausführliche Infos zum Konzert in Frankfurt und zur aktuellen „Der ganz normale Wahnsinn“-Zusatztournee.

Am 30. November erscheint die vor wenigen Tagen in München und Ulm aufgenommene Live-Doppel-CD.

 

1 response to “Udo Jürgens-Interview: „Ich muss den Tiefgang, den ich empfinde, auch vermitteln“ – Zusatzkonzert in Frankfurt

  1. Wir waren am Samstag auch auf dem Konzert. Beste Karten zu einem hohen Preis in Reihe 1. Die erste Hälfte war wirklich gut (auch wenn die Filmeinspielungen etwas zu lang geraten waren). Doch dann, plötzlich wie aus dem Nichts stürmen nach der Pause während des zweiten Liedes zahllose Fans den Bühnenrand, und das Konzert endete für uns. Nach zwei weiteren Liedern, die nur noch zu hören, aber von Herrn Jürgens nichts mehr zu sehen war (auch nicht auf der Leinwand), haben wir diesen enttäuschenden und letztlich ärgerlichen Konzertabend verlassen. Vielleicht sollte man Stehkarten für die Bühne verkaufen (mit gehörigem Preisaufschlag) , die ersten Reihen dagegen kann man eigentlich verschenken. Der Künstler ist für den Konzertverlauf verantwortlich. Die Ordner können ebenfalls nach der Pause gehen. Sie sind hilflos und erfüllen ihren Zweck nicht mehr. Fazit: Nie mehr ein Udo-Jürgens-Konzert

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